
Mainz (Deutschland) - Medienberichte über vermeintlich gesundheitsgefährdende Substanzen können dazu führen, dass empfindliche Menschen Krankheitssymptome entwickeln, obwohl es objektiv keinen Anlass dafür gibt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die sich mit dem Phänomen der elektromagnetischen Hypersensitivität befasst hat. Bei dieser Symptomatik reagieren die Betroffenen nach eigenen Angaben auf elektromagnetische Wellen wie Handy-Strahlung mit Beschwerden bis hin zu körperlichen Reaktionen. Mithilfe der Kernspintomographie ist zu sehen, dass schmerzverarbeitende Hirnregionen aktiviert sind. "Es spricht allerdings vieles dafür, dass es sich bei der elektromagnetischen Hypersensitivität um einen sog. Nocebo-Effekt handelt", erklärt Dr. Michael Witthöft von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). "Allein die Erwartung einer Schädigung kann tatsächlich Schmerzen oder Beschwerden auslösen, wie wir es umgekehrt im Bereich schmerzlindernder Wirkungen auch von Placebo-Effekten kennen." Wie die neue Studie zeigt, können Medienberichte, die vor Gesundheitsrisiken warnen, bei manchen Personen Nocebo-Effekte hervorrufen oder verstärken.
- Bei dieser Meldung handelt es sich um eine Pressemitteilung der Johannes Gutenberg Universität Mainz, uni-mainz.de
Immer wieder berichten Medien über Gesundheitsrisiken durch elektromagnetische Felder (EMF), die von Handys, Mobilfunk-Sendemasten, Hochspannungsleitungen und dem WLAN ausgehen. Menschen, die nach eigener Einschätzung auf elektromagnetische Felder sensibel reagieren, leiden unter Symptomen wie Kopfschmerzen, Schwindel, brennender Haut oder einem Kribbeln, die sie auf diese Emissionen zurückführen. Es gibt Betroffene, die sich wegen ihrer elektromagnetischen Hypersensitivität von der Arbeit und ihrem sozialen Umfeld zurückziehen und in extremen Fällen sogar in abgeschiedene Regionen umziehen, um elektrische Anlagen ganz zu meiden. "Tests haben allerdings gezeigt, dass Betroffene nicht unterscheiden konnten, ob sie tatsächlich elektromagnetischen Feldern ausgesetzt sind und dass ihre Symptome genauso von einer Scheinexposition ausgelöst werden können wie von realer Strahlung", so Witthöft. Das als Nocebo-Effekt bekannte Phänomen wurde zunächst bei Arzneimittelstudien festgestellt. Probanden zeigten Nebenwirkungen, obwohl sie gar kein Medikament, sondern ein Placebo erhalten hatten.
www.grenzwissenschaft-aktuell.de
In den Untersuchungen, die Witthöft bei einem Aufenthalt am King's College London gemeinsam mit G. James Rubin durchgeführt hat, wurde den 147 Testpersonen zunächst ein Fernsehbericht gezeigt. Ein Teil der Versuchsteilnehmer bekam einen Dokumentarfilm des Senders BBC One zu sehen, in dem teilweise drastisch über die Gesundheitsgefahren von Mobilfunk- und WLAN-Signalen berichtet wurde. Der andere Teil schaute einen Bericht von BBC News über die Sicherheit von Internet- und Handy-Daten an. Anschließend wurden alle Probanden einem WLAN-Scheinsignal ausgesetzt, von dem sie aber annehmen konnten, dass es echt sei. Obwohl überhaupt keine Strahlung vorhanden war, entwickelten einige Probanden die typischen Symptome: 54 Prozent der Testpersonen berichteten über Beunruhigung und Beklemmung, Beeinträchtigung ihrer Konzentration oder Kribbeln in den Fingern, Armen, Beinen und Füßen. Zwei Teilnehmer haben den Test vorzeitig beendet, weil ihre Symptome so stark waren, dass sie sich nicht länger der vermeintlichen WLAN-Strahlung aussetzen wollten. Es zeigte sich, dass die Symptome bei Personen mit erhöhter Ängstlichkeit, die vor der Scheinexposition den Dokumentarfilm über mögliche Gefahren von elektromagnetischer Strahlung gezeigt bekamen, am stärksten ausfielen.
Die Studie zeigt, in welchem Maße reißerische Medienberichte, denen oft die wissenschaftliche Grundlage fehlt, auf die Gesundheit großer Bevölkerungsteile Einfluss nehmen können. Die Suggestion von Gesundheitsgefahren wirkt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur kurzfristig wie eine sich selbsterfüllende Prophezeiung, sie kann auch langfristig dazu führen, dass sich Menschen für empfänglich halten und in entsprechenden Situationen auf Elektrosmog mit Symptomen reagieren. "Die Wissenschaft und die Medien müssen unbedingt stärker zusammenarbeiten und sich darum bemühen, dass Berichte beispielsweise über mögliche Gesundheitsrisiken neuer Technologien so wahrheitsgetreu wie möglich und nach bestem Wissensstand an die Öffentlichkeit gelangen", folgert Witthöft aus den Ergebnissen der Studie.
WEITERE MELDUNGEN ZUM THEMA
Placebo-Studie: Schon Beipackzettel machen Patienten krank 29. September 2012
Expertenkonferenz: Placebo ist nicht gleich Placebo 15. Mai 2012
Studie: Placebobehandlungen effektiver als bislang vermutet24. Februar 2010
Nocebo: Die Wissenschaft des Voodoo-Fluchs 19. Mai 2009
Wissenschaftlervereinigung warnt: Mobilfunk-Nutzung fördert Stress und Burn-Out 5. Februar 2013
Norwegische Studie findet keine Beweise für Gesundheitsrisiko durch Mobilfunk und Funknetzwerke 18. September 2012
Mobilfunk während Schwangerschaft kann zu Verhaltensstörungen des Nachwuchses führen 16. März 2012
Studie: Seelenzustand von Schwangeren wirkt sich auf Ungeborene aus 14. November 2011
Elektrosmog erhöht Asthmarisiko für Neugeborene 3. August 2011
WHO klassifiziert elektromagnetische Felder durch Mobilfunk erstmals als "möglicherweise krebserregend" 1. Juni 2011
Bücher zum Thema:
- - -
- - -
Quelle: uni-mainz.de